Rückschau 2006

Salon St. Petersburg (24. Januar – Gemeinschaftsveranstaltung mit dem Literaturhaus Basel, Einführung: Martin Coerper). Maria Thorgevsky und Dan Wiener rezitieren und musizieren aus der Welt der russischen Dichter des goldenen Zeitalters. Sie werden begleitet von Alexander Ionov (Balalaika) und Sergej Simbirev (Akkordeon).
Die vier hatten ein kurzweiliges Programm … einstudiert, das seine Vitalität wesentlich aus der theatralischen Energie Maria Thorgevskys bezog. … Sie gibt den "Romanzen" den Anflug von Bohème und Provokation und macht sie so heute noch hörenswert.
(Nikolaus Cybinski, RZ, 3. 2. 06)

Hoo Nam Seelmann (21. Februar) gibt einen Überblick über die Umwälzungen, die sich in der koreanischen Literatur im Lauf des letzten Jahrhunderts vollzogen haben. Die gebürtige Koreanerin, die in Deutschland studiert hat und heute in Riehen als Übersetzerin und Publizistin zu Hause ist, versteht es hervorragend, die Einflüsse der verschiedenen Kolonialmächte und der gesellschaftlichen Umwälzungen auf die Literatur ihrer Heimat zu analysieren und nachvollziehbar zu machen. Elke Müller und Valentin Herzog lesen Texte, an denen diese Veränderungen sichtbar werden.

Gerold Späth (19, März, Matinée im Lüschersaal, Einführung Oliver Bader) liest aus seinem eben erschienenen Roman "Aufzeichnungen eines Fischer" – ein fulminantes Comeback.
…Späth hat seinen Leuten genau aufs Maul geschaut. Die Dialoge in den "Aufzeichnungen eines Fischers" wirken wie gerade eben in der Beiz mitgeschnitten … Das ergibt eine Wirkung von Unmittelbarkeit und Lebensnähe, wie sie bei Schweizer Schriftstellern eher selten anzutreffen ist.
(Sibylle Meyrat, RZ, 24. 3. 06)

Oscar Peer (28. März, Einführung: Edith Lohner, Kaleidoskop) stellt sein jüngstes Werk "Akkord/il retuorn" vor, die Geschichte eines Ausgegrenzten, der nach Verbüssung einer Gefängnisstrafe in sein Engadiner Dorf zurückkehrt.
Es gehört Mut dazu, heute literarisch über eine alpine dörfliche Lebenswelt zu schreiben, die es so nicht mehr gibt. Trotz ausführlicher Landschaftsbeschreibungen umschifft Oscar Peer souverän die Klippe beschaulicher Heimatliteratur. Verklärung liegt ihm fern. Dazu kennt er die Figuren, über die er schreibt, wohl zu gut.
(Sibylle Meyrat, RZ, 7. 4. 06)

Beate Rothmaier (16. Mai, Einführung: Valentin Herzog) liest aus ihrem kürzlich erschienenen Erstlingsroman "Caspar". Es handelt sich dabei um eine perspektiven- und facettenreich geschriebene Geschichte, in deren Mittelpunkt die historisch dokumentierte Figur eines Findelkinds im ausgehenden 18. Jahrhundert steht.
Kleines Schicksal gross erzählt … Rothmaier schlüpft mit viel Empathie in diese Figur, die in jeder Hinsicht am Rand steht, und rückt sie ins Zentrum. Geradezu körperlich spürbar macht sie die Energie, die Caspar antreibt: Er will ausbrechen, lernen, weiterkommen, verstehen – was ihm stückweise auch gelingt.
(Sibylle Meyrat, RZ, 26. 5. 06)

Margrit Schriber (30. Mai, Einführung: Iren Nussberger) stellt ihr jüngstes Buch "Das Lachen der Hexe" vor, in dem es um die historische Figur einer gewissen Anna Maria Gwerder geht, die 1752 im Gefängnis von Schwyz an den Folgen der Folter starb, bevor sie noch in einem ordentlichen Verfahren als Hexe abgeurteilt werden konnte.
Margrit Schriber treibt ihre Geschichte mit einer schnörkellosen Sprache, versetzt mit Dialektausdrücken, ihrem unvermeidlichen Ende entgegen … Die Sinnlichkeit, mit der Margrit Schriber in die Lebenswelt eines abgelegenen Alpendorfs im 18. Jahrhundert eintaucht, entwickelt einen Sog, dem sich ihre Leser schwerlich entziehen können.
(Sibylle Meyrat, RZ, 2. 6. 06)

Valentin Herzog (5. September im Anschluss an die Mitgliederversammlung, Einführung Katja Fusek) präsentiert seine unter dem Titel "Karims Café" erschienenen "Geschichten aus Marokko", in denen er Erfahrungen und Eindrücke literarisch souverän umsetzt und sich feinfühlig der widersprüchlichen Realität des Landes annähert.
Der Ton bleibt frisch, die Figuren plastisch, das ausgelegte Gewebe hält die wachsende Spannung … durch. Dass sich die unterschiedlichen Zivilisationen – hier die Europäer, dort der durch seine dunkle Haut zusätzlich ausgegrenzte Araber – letztlich nur berühren können, flicht neben leiser Ironie einen erst recht tragischen Unterton ein.
(Urs Grether, RZ, 8. 9. 06)
(Zugleich mit "Karims Cafe" wird auch das ARENA Heft 7 vorgestellt, das neben dem Jahresbericht 2005 unter dem Titel "Titbouline" sechs weitere marokkanische Erzählungen des ARENA Vorsitzenden bringt.)

Paul Niederhauser (26. September, Einführung Edith Lohner, Kaleidoskop) führt auf einen heiter-besinnlichen Streifzug durch die bernische Mundart und Mundartliteratur mit manchmal heimeligen, öfters besinnlichen, gelegentlich bitterbösen Texten von Urs Frauchiger, Hans Zulliger, C. A. Loosli, Ernst Eggimann, Christine Kohler, Kurt Marti, Ernst Burren u. v. a.
Die Alterslosigkeit, die ihm (Niederhauser) provozierend gut zu Gesicht steht, gehört zu diesem stupenden Parforceritt durch zweihundert Jahre Berner Mundartdichtung.
(Urs Grether, RZ, 29. 9. 06)

Katja Fusek (16. November, Einführung Valentin Herzog) stellt ihren zweiten Roman vor: "Die stumme Erzählerin", eine auf eigenwillige Weise raffinierte, ebenso subtil wie poetisch erzählte Geschichte von der wortlosen Begegnung zweier Menschen, die auf sehr unterschiedliche Art vom Schicksal gezeichnet sind.
Die bis zum Ende des Romans in Engführung mit dem Leben der realen Figuren sich verdichtende Geschichte zieht in einem geschickten Spiel der Erzählebenen den Leser sanft mit sich. […] Der Roman Fuseks erstaunt nicht nur durch das erzählerische Konzept, sondern vor allem durch den radikal weiblichen Standpunkt, in welchem für einmal ein Mann zur Projektionsfläche weiblicher Fantasien wird.
(Arlette Schnyder, RZ, 24. 11. 06)

Peter Stamm (5. Dezember, Einführung Lea Meier), liest in leicht geraffter Form den Anfang seines neuen Romans "An einem Tag wie diesem". Mit fast asketischer Nüchternheit (im Gespräch fiel der Begriff "Minimalismus") berichtet der Autor von einem Schweizer Lehrer, der sich nach 18 Arbeitsjahren in Paris plötzlich aus seiner bequemen Routine gerissen sieht.
Gäbe es, was den Umgang mit dem Publikum betrifft, einen Preis für den unzickigsten Schriftsteller, so gehörte er niemand anderem als Peter Stamm. Das war kürzlich in einer deutschen Zeitung zu lesen. Wer den Autor in Riehen erlebt hat, dürfte dieser Wahl ohne Zögern zustimmen.
(Sibylle Meyrat, RZ, 8. 12. 06)